Kirchenrundgang

„Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht. Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus. Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“. (Matthäus 17,1-5)

In den achtziger Jahren ermöglichte ein Sonderbauprogramm die Errichtung von Sakralbauten in der DDR, speziell in den neuen Großsiedlungen. Als staatlicher Partner war das Außenhandelsunternehmen Limex verantwortlich für die Bauausführung, insbesondere für die Beauftragung und Beaufsichtigung der ausführenden Baubetriebe. Auf kirchlicher Seite beaufsichtigte die Zentralstelle des Deutschen Caritasverbandes in Ost-Berlin die projektgerechte Ausführung.

Durch dieses Sonderbauprogramm wurden in Ost-Berlin vier neue Kirchen geschaffen, von denen die katholische Kirche „Von der Verklärung des Herrn“ die größte ist. Die anderen neu entstandenen Kirchen sind: „Maria Königin des Friedens“ in Biesdorf-Nord, „Zum Guten Hirten“ in Friedrichsfelde sowie „Heilig Kreuz“ in Hohenschönhausen.

Die Pläne für die Kirche „Von der Verklärung des Herrn“ sowie die Innenausstattung schuf der Architekt Hermann Korneli.
Die Pfarrkirche ist kein einzelnes Gebäude, sondern bildet mit dem mehrstöckigen Pfarrhaus und einem eingeschossigen Zwischenbau eine Einheit. In diesem Zwischenbau befinden sich der Pfarrsaal und weitere Gemeinderäume. An der nordwestlichen Ecke des Komplexes bildet ein angebauter, halboffener Glockenturm den Abschluss. Das tragende Element der Kirche ist eine Stahlskelettkonstruktion, deren Zwischenräume gemauert sind. Von außen ist der Gebäudekörper verklinkert, innen weiß verputzt.

Das hohe Hauptschiff der Pfarrkirche wird von zwei niedrigeren Seitenschiffen begleitet. Das südliche, vom Eingang aus gesehene linke Schiff, dient als Taufkapelle. Das nördliche, rechte Schiff war ursprünglich als Kapelle für Werktagsmessen vorgesehen, dies wurde jedoch nicht umgesetzt. Stattdessen dient es als Marienkapelle. Die dreistufige Höhenanordnung unterstreicht die unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Schiffe. Der Grundriss der Kirche ist fächerförmig ausgelegt, alles strebt dem zentralen Altarraum des Hauptschiffes zu. Die Anordnung der Kirchenbänke verstärkt nochmals diesen Eindruck.

Beim Betreten der Kirche durch den Haupteingang dominiert der Korpus des leidenen Christus den Eindruck des Betrachters. Dieser ist eine Leihgabe der katholischen Kirchengemeinde Berlin-Kaulsdorf und hatte eine bewegende Geschichte hinter sich, bis er in der Karwoche des Jahres 2000 in der Kirche: „Von der Verklärung des Herrn“ den Altarraum erreichte.

1930, im Jahr der Gründung des Bistums Berlin, wurde am 3. August die neu geschaffene katholische Pfarrkirche „St. Martin“ in Berlin-Kaulsdorf durch den ersten Bischof des Bistums, Dr. Christian Schreiber, geweiht. Für diese Kirche hatte der Bildhauer Hans Perathoner - geb. 1872 in Tirol, seit 1914 Professor an der Kunstgewerbeschule in Charlottenburg - innerhalb von wenigen Monaten den vier Meter hohen Korpus geschaffen. Dieser wurde mit einem Beil aus einem Eichenstamm herausgehauen und absichtlich rau und roh belassen. Gleichzeitig wurde auf eine Farbfassung verzichtet. Eine zeitgenössische Kritik schreibt: „in Agonie erstarrter Christus [...] in expressionistischer Form und Fassung“. In keiner Kirche Deutschlands gab es etwas Vergleichbares.

Der Korpus wurde, für jeden Kirchenbesucher sofort sichtbar, an der Rückwand des Altarraums der Kirche an einem aus Ziegelsteinen gemauertem Kreuz aufgehangen. Die durch den Korpus erzeugte Stimmung bildete einen starken Gegensatz zu dem durch kühle und sachliche Linien geprägtem Kirchengebäude.

Die expressionistische Darstellung polarisierte sehr stark. Während sich Kritiker von der „Missgestalt“ abgestoßen fühlten und ihre religiösen Gefühle verletzt sahen, sahen die Verteidiger in der Darstellung eine Aufforderung zum Mitleiden. Die monumentale Darstellung des Schmerzes und die Deformierung bedeutete für sie eine „religiöse Verinnerlichung“. Ihrer Meinung nach konnte so die abgegriffene und harmlos gewordene kirchliche Kunst zu einem neuen Leben erweckt werden, ganz in der Nachfolge der Maler El Greco und Matthias Grünewald.

Im Dezember 1930 suchte Bischof Dr. Schreiber die Pfarrkirche „St. Martin“ auf und bat um die Entfernung des Kreuzes. Der darauf folgende Briefwechsel im Jahr 1931 endete am 11. September 1931 mit der Durchsetzung der Kritiker. Das Kreuz wurde an diesem Tag abgebaut. Das ausschlaggebende Hauptargument war, dass die Darstellung aufgrund der drastisch und hässlich wirkenden Deformierung „darwinistisch“sei. Sie zeige den Menschen nicht als Ebenbild und Kunstwerk Gottes, sondern solle glauben machen, der Mensch stamme vom Affen ab.

Der abgebaute Korpus wurde aufbewahrt und hing zwischen 1964 und 1986 in der evangelischen Hoffnungskirche in Pankow. In der Karwoche 2000 wurde er dann im Altarraum der Pfarrkirche „Von der Verklärung des Herrn“ aufgehangen und damit ein neuer Versuch gestartet, mit diesem eindrucksvollen, aber auch nicht ganz leicht zu ertragenden Korpus des leidenen Christus umzugehen.
Bei einem ersten Blick schrickt der Betrachter vielleicht zurück, aber je länger er diese eindrucksvolle Darstellung betrachtet, umso stärker erkennt er: Die Darstellung des Korpus zeigt den am Kreuz Gemarterten als Mensch, der für uns Menschen übermenschliches Leid erduldet.

Die Seitenwand des linken Seitenschiffes ziert der Kreuzweg. Die vierzehn Leidensstationen Christi sind in diesem nicht getrennt, sondern in einem Fries ineinander übergehend dargestellt. Dieses Werk wurde mit einer Vorbereitungszeit von zwei Jahren von Werner Frischmut geschaffen. Die Umsetzung nahm nochmals ein Jahr in Anspruch. Bei dem verwendeten Material setzte der Künstler auf Beton. Das Leiden des Herrn sollte in der neugebauten Kirche mit dem im neuen Stadtbezirk Marzahn „üblichen“ Produkt dargestellt werden. Die Dornenkrone wird durch in den Beton eingelassenen Stacheldraht verdeutlicht.

Während das Hauptschiff vom Korpus des leidenen Christus dominiert wird, ist die Johannes-Minne der Blickfang im linken Seitenschiff, der „Taufkapelle“. Dieser Raum, in dem entsprechend der Funktion das Taufbecken steht, wird von 12 Kerzen, den Apostelleuchtern, geschmückt. Die Johannes-Minne selbst stammt aus dem mittelalterlichen Süddeutschland und ist ein Geschenk der bayrischen Staatsministerin Frau Prof. Ursula Männle. Warum steht die Johannes-Minne in der „Taufkapelle“?

In der Taufe geschieht für uns Christen Wesentliches: Gott schenkt uns sein Leben. Der Getaufte wird Schwester und Bruder des Herrn. Die Taufe lebt von vielen Zeichen. So stehen die Apostelleuchter für die Heiligen als Vorbilder auf der Nachfolge Christi. Die Darstellung von Jesus und Johannes soll ein Zeichen für die Kirche und die Gemeinschaft der Gläubigen sein. Das Haupt der Kirche, Christus, lädt den Menschen ein, damit er bei ihm ausruhen kann. So kann der Mensch für seinen Weg neue Kraft schöpfen und in seinem Leben das verwirklichen, was er in dieser Gemeinschaft erlebt hat: den Herzschlag Gottes für uns Menschen

Somit zeigt diese Darstellung, was Kirche im Letzten ist: Der zärtliche Gott für diese Welt und das Angebot seiner Liebe für diese Welt. Dazu braucht es Menschen, die den Mut haben, sich von Jesus berühren zu lassen, getrost die eigene Hand in seine Hand zu legen und senen Herzschlag in sich aufzunehmen. Dies alles vermag ein Getaufter. Darum steht die Johannes-Minne zentral in der „Taufkapelle“.

 

Gedanken von Pater Josef Kahmann, SDB: „Ein Bild, ein Kunstwerk spricht. Die Worte, die beim Betrachter ankommen, können unterschiedlich ausfallen. Sie müssen auch nicht identisch sein mit den Worten, die der Künstler in sein Werk hineingelegt hat. Ein wertvolles Buch spricht die Freiheit des Menschen an, die ihn zum Menschen werden lässt. Bei einem Kunstwerk gilt das auch, und vielleicht noch intensiver. Wenn ich jetzt einige Gedanken zu Papier bringe, dann sind das meine Gedanken, die mir in der Meditation über einen längeren Zeitraum gekommen sind. Johannes lehnt sich distanzlos an die Schulter Jesu. Jesus lässt eine körperliche Nähe zu. Johannes erfährt mehr als Geborgenheit. Das rote Band, das beide verbindet, verstehe ich als Band der Vertrautheit und des gegenseitigen Verstehens. Die Johannesminne ist ein Ausschnitt der Abendmahlszene. Jesus nimmt Abschied vom 'engeren Kreis' seiner Jünger. Jesus hat einen zielgerichteten Blick. Er weiß, was ihn erwartet. Auch Johannes hat eine Ahnung davon. Dennoch strahlt die Darstellungsweise eine Gelassenheit, ja, sogar eine Ruhe aus. Sie erinnert so an das Herrenwort: 'Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe verschaffen.' Diese Zusage gilt jedem Betrachter, der sich auf den Weg der Nachfolge gemacht hat, und lässt es ihn auf diese Weise erfahren.“

 

Der Tabernakel mit dem ewigen Licht, geschaffen von Johannes Kehrt, ist das verbindene Element zwischen Haupt- und rechtem Seitenschiff. Er ist in die rechte Begrenzungssäule des Hauptschiffes eingelassen.

Das rechte Seitenschiff wird von einer Marienstatue, die stets von einem reichen Blumenschmuck umgeben ist, geprägt. Sie steht auf einem flachen Podest aus Marmor, welches mit einem kleinen Tisch für Opferkerzen eine Einheit bildet. Die Statue wurde von einem Künstler aus Eichsfeld extra für diese Kirche geschaffen. Ursprünglich sollte die Statue nach Vorgabe einer romanischen Madonna gestaltet werden. Der Künstler hat sich damals jedoch für seine Freundin aus Eichsfeld „entschieden“. Bei der Anfertigung der Marienstatue kam es zu einer Verzögerung. Es sollte Lindenholz als Material verwendet werden, allerdings war keine Linde verfügbar. Nach einiger Zeit wurde im Rahmen einer Schussfelderweiterung für die DDR-Grenztruppen im Grenzstreifen eine Linde gefällt. Unter den Händen des Künstlers entstand aus diesem Baum die Marienstatue.

Neben der Maria gibt es im rechten Seitenschiff noch mehr zu entdecken. So befindet sich an der rechten Seitenwand ein Stein aus der Heiligen Pforte (Porta Santa) des Petersdoms. Diese Pforte ist normalerweise zugemauert und wird nur zum Beginn des Heiligen Jahres alle 25 Jahre geöffnet. Am Ende desselben wird sie wieder zugemauert. Der Stein wurde von Bischof Meißner von einer Romreise mitgebracht und sollte ursprünglich mit in den Grundstein der Kirche eingemauert werden. Damit wäre er aber aus dem Blickfeld des Kirchenbesuchers entrückt und nur „Eingeweihte“ wüssten von seiner Existenz. So befindet er sich jetzt stattdessen an der Innenwand oberhalb des Grundsteines.

Auch im hinteren Bereich der Kirche gibt es Interessantes zu sehen. Wendet der Besucher nach dem Betreten der Kirche seinen Blick nach rechts, erblickt er nebem dem Aufgang zur Empore auf einem kleinen stilisierten Mauervorsprung eine Statue des heiligen Antonius, genauer gesagt eine Statue des heiligen Antonius von Padua. Neben dieser leuchtet während der Gottesdienste stets ein kleines Licht. Unterhalb ist noch ein Opferstock angebracht.
Der heilige Antonius ist der Schutzpatron der Armen. Teilweise wird er auch als Nothelfer angerufen, obwohl er nicht zu den 14 Nothelfern gehört. An diese soll sich ein Mensch in Not vertrauensvoll wenden, damit sie für ihn Fürsprecher sind. Zusätzlich hat der heilige Antonius den Ruf, spezieller Helfer für das Wiederauffinden verlorener Gegenstände zu sein. Daher stammt sein volkstümlicher Name: „Schlampertoni“.

Ein rückwärtiger Blick aus dem Hauptschiff auf die Empore zeigt die Orgel. Diese mechanische Schleifladenorgel wurde 1968 von der Firma Walcker aus Ludwigsburg für die evangelische Kirche in Maintal-Bischofsheim gebaut. 1999 kaufte unsere Gemeinde die Orgel. Anschließend wurde sie durch die Orgelbaufirma Kircher aus Heidelberg aufgebaut und um zusätzliche Register erweitert. Die Orgel verfügt nun über 20 klingende Stimmen auf zwei Manualen und einem Pedal. Nicht nur in klanglicher, auch in architektonischer Hinsicht verschmilzt das Instrument mit dem Kirchenraum. Seit der Weihe am 12. Dezember 1999 wird die Orgel neben der gottesdienstlichen Funktion auch für Konzerte genutzt.

Dieser rückwärtige Blick auf die Orgel beendet den Kirchenrundgang. Es gibt sicherlich noch mehr interessante Details, die gezeigt, und mehr damit verbundene Geschichten, die erzählt werden können. Dies würde jedoch den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Außerdem soll auch der Verzicht auf die komplette Beschreibung als Einladung für einen Besuch in unserer Kirche dienen. Selbst ein noch so gutes Foto kann nie die Gesamtwirkung des Großen und Ganzen wiedergeben, sondern nur einen kleinen Eindruck vermitteln.

(Text und Fotos: Markus Petri, erstellt unter Zuhilfenahme einer Presseinformation von Dr. Christine Goetz, Kunsthistorikerin im Erzbistum Berlin)